Allgemeine Vorbemerkung:
Hier finden sich Informationen über einige Medikamente, die bei bipolaren Störungen verwendet werden.
Sie können die Beratung durch den Arzt bzw. den Beipackzettel nicht ersetzen, dürfen nicht als solche verstanden werden, und es wird keine Gewähr übernommen.
Über die Verordnung, Dosierung, und das Absetzen von Medikamenten kann einzig der behandelnde Arzt in Zusammenarbeit mit dem Patienten entscheiden. Dem behandelnden Arzt obliegt auch die
Pflicht zur Aufklärung über Wirkung und Nebenwirkung. Allerdings erfährt man als Bipolarer leider mitunter von mangelnder Kompetenz im Hinblick auf diese Krankheit. Das könnte man wohl durch
gezielte Arztwahl, Fortbildung und Trialog verbessern.
Es gibt keine "ideale Basismedikation" - die „subjektiv ideale“ Möglichkeit mit der besten Wirkung im Zusammenhang mit möglichst geringen Nebenwirkungen sieht für jeden Patienten anders aus. Denn jeder Mensch ist einmalig. Es braucht oft viel Zeit und Geduld und Kompetenz sowohl von ärztlicher als auch von Patientenseite, bis sie gefunden werden kann.
Veröffentlichungen über Medikamente - auch die auf dieser Website und in den Links - sollte man immer mit einigem Vorbehalt studieren. Pharmafirmen stehen oft direkt oder indirekt dahinter, vieles fußt auf Studien im Auftrag von Pharmafirmen, die der Gefahr unterliegen, für sie negative Ergebnisse nicht zu veröffentlichen. Sie sind am Verkauf möglichst vieler ihrer Medikamente interessiert. Und vieles ist schlicht (noch) nicht bekannt, was unsere Krankheit, die angemessene Therapie und Wechselwirkungen und Spätfolgen betrifft.
Wenn man nach Informationen zu einem Medikament sucht, beachte: Es gibt oft unterschiedliche Bezeichnungen für Handelsnamen und Wirkstoff! (Beispiel: Wirkstoff: Lamotrigin, Handelsnamen z.B.: Elmendos, Lamictal, ...). Insbesondere bei Publikationen anderer Länder ist es besser, nach dem Wirkstoff zu suchen.
Spezielle Vorbemerkung:
Die angemessene medikamentöse Behandlung von Depressionen innerhalb der bipolaren affektiven Störungen und bipolaren affektiven Psychosen auf der einen Seite und von Depressionen außerhalb des bipolaren Spektrums auf der anderen Seite ist nicht identisch. Manche Antidepressiva scheinen bei bipolaren Erkrankten nicht oder anders zu wirken. So unterliegt man als Bipolarer bei manchen Antidepressiva der Gefahr, über das Normalniveau hinaus in eine Hypomanie, ja gar in eine Manie katapultiert zu werden (so genanntes „Switch-Risiko“). Eine andere Gruppe von Antidepressiva scheint weniger oder gar nicht zu wirken im Vergleich zu rein Depressiven (unipolar Depressiven). Eine Studie (Kirsch et. al.) stellt sogar die bis jetzt propagierte große Wirksamkeit von Antidepressiva in Frage.
Medikamente / Psychopharmaka
Werden Bipolare Störungen medikamentös behandelt, so werden vor allem Medikamente aus folgenden Gruppen verschrieben: Stimmungsstabilisierer, Antidepressiva, Neuroleptika und – in akuten Phasen – Benzodiazepine. Was bei dem einen wirkt muss bei einem anderen nicht gleich wirken. Jeder Mensch ist einmalig. Bei allen gibt es auch Nebenwirkungen.
1. Stimmungsstabilisierer:
Lithium (Handelsname Quilonum retard), Carbamazepin, Lamotrigin (Handlungsname Elmendos, Wirkstoff Lamotrigin), Valproinsäure (Handelsnamen z.B. Orfiril, Valproat, Ergenyl), ...
Bei allen Formen bipolarer Störungen werden zur Therapie in allen Behandlungsphasen Stimmungsstabilisierer eingesetzt. Diese besitzen im Idealfall sowohl antimanische als auch antidepressive
Wirkungen. Ihr Vorteil liegt in der Phasenprophylaxe. Darunter sind auch Antiepileptika, denn manche dieser Mittel gegen Epilepsie haben sich als stimmungsstabilisierend herausgestellt.
Lithium z.B. wirkt bei manchen Menschen bei einer Dosis von 0,6 bis 0,8 mmol/l zur Phasenprophylaxe, bei einer Dosis von 1,0 bis 1,2 mmol/l als Antimanikum.
2. Antidepressiva:
a) Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer / Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
z.B. Cymbalta (Wirkstoff Duloxetin), Trevilor (Wirkstoff Venlafaxin), ...
b) Atypische Antidepressiva:
z.B. Elontril (Wirkstoff Bupropion), ...
c) Tricyclische Antidepressiva:
z.B. Amitriptylin, ...
d). Tetracyclische Antidepressiva:
z.B. Remergil (Wirkstoff Mirtazapin), ...
3. (Atypische) Neuroleptika:
z.B. Risperdal (Wirkstoff Risperidon), Zyprexa (Wirkstoff Olanzapin), Abilify (Wirkstoff Aripiprazol), Seroquel (Wirkstoff Quetiapin), ...
Untergruppe Sedativa:
z.B. Atosil (Wirkstoff Promethazin), Pipamperon, ...
4. Benzodiazepine:
z.B. Tavor (Wirkstoff Lorazepam), ...
5. Schlafmittel (den Benzodiazepinen verwandt):
z.B. Wirkstoff Zopiclon (Handelsnamen: Imovane, Ximovan, Zop, Zopiclon), Somnosan, ...
Einige Zitate aus www.bipolar.at:
„Von dem Gebrauch trizyklischer Antidepressiva ist … bei bipolaren Patienten insgesamt abzuraten und auch duale Antidepressiva sollten nie als erste Option gewählt werden. Auch die
Empfehlungen zur Dauer der antidepressiven Therapie unterscheiden sich von denen der unipolaren Depression. Es erscheint sinnvoll, in den meisten Fällen die antidepressive Medikation
schon früher als nach 6-12 Monaten im Anschluß an die Remmission abzusetzen …“ – „In den großen Zulassungsstudien der Antidepressiva wurden stets nur unipolar depressiven Patienten
und keine bipolar depressiven Patienten eingeschlossen, weshalb keine methodisch reinen Aussagen
über die Wirksamkeit von Antidepressiva speziell bei bipolarer Depression getroffen werden konnten“ … „Bis vor wenigen Jahren gab es noch wenige Daten aus klinischen Studien, um diese Fragen zu
zufriedenstellend beantworten, und auch aus heutiger Sicht fällt eine endgültige Beurteilung schwer. Eine große Meta-Analyse zur Wirksamkeit zeigte einerseits signifikante Vorteile
verschiedener Antidepressiva gegenüber Placebo, wobei SSRI und Bupropion besser abschnitten als Trizyklika, die einen geringeren antidepressiven Effekt hatten. Dies steht auffällig im
Gegensatz zu ähnlichen Untersuchungen bei unipolarer Depression, wo Trizyklika sehr gute Wirksamkeit beweisen. Andererseits konnte in einer weiteren, sehr groß angelegten klinischen Studie
in Nordamerika auch kein signifikanter Effekt von SSRI oder Bupropion im Vergleich zu Placebo gefunden werden. Diese widersprüchlichen Ergebnisse
lassen somit abermals Zweifel an der Effektivität von Antidepressiva insgesamt aufkommen …“
Quelle: http://www.bipolar.at./alphamedi/antidepressiva.htm (in: "Forum Bipolar in Österreich" (www.bipolar.at) von Dr. Moritz Mühlbacher und Dr. Christoph Egger. Dort findet man weitere Informationen hierzu, Hervorhebungen durch Fettdruck nicht im Original)
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Für Wirbel sorgte in letzter Zeit die Untersuchung von Irving Kirsch über die Wirksamkeit von Antidepressiva. Hier ein Link auf dessen Veröffentlichung: http://www.pubmedcentral.nih.gov/articlerender.fcgi?artid=558707
Und hier eine Stellungnahme zu dieser Untersuchung:
"Placebo wirkt desto weniger, je schwerer die Depression. Der von Kirsch et al. replizierte Befund bestätigt gerade die Wirksamkeit von Antidepressiva."
"Implizit halten Kirsch et al. der FDA vor, Antidepressiva zugelassen zu haben, ohne dass eine klinisch relevante Wirkung belegt gewesen sei. Hier offenbaren Kirsch et al. einen grundlegenden methodischen Irrtum"
"Ob dabei Antidepressiva alle gleichermaßen wirksam – wie von Kirsch et al. behauptet – sind, mag dahingestellt bleiben"
"Es ist selbstverständlich, dass in jedem Einzelfall die Indikation zur Behandlung mit einem Antidepressivum sorgfältig abzuwägen ist, wobei der Patient auf Basis umfassender Information am Ende nach seinen eigenen Präferenzen entscheidet."
Obige vier Zitate aus "Wirksamkeit von Antidepressiva. Stellungnahme zu Irving Kirsch" von J. Fritze, J. Aldenhoff, F. Bergmann, G. Eckermann, W. Maier, H.-J. Möller, W. Gaebel
für die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und die Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP), in:
http://www.leitlinie-bipolar.de/wp-content/uploads/2008/07/fulltext.pdf
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Mood Stabilizer (Stimmungsstabilisierer) als Grundlage
„Die Behandlung mit Mood Stabilizern sollte die Grundlage der medikamentösen Therapie der bipolaren Erkrankung sein.“
Medikamentöse Akutbehandlung der Depression bei Bipolaren:
„Zur pharmakologischen Behandlung der Depression stehen Antidepressiva, Mood-Stabilizer (Lithium und Antikonvulsiva) und (atypische) Antipsychotika zur Verfügung. Antidepressiva und Mood-Stabilizer sind Mittel der ersten Wahl in der Akuttherapie …
Die Diagnosesicherung kann bei bipolarer Depression Schwierigkeiten bereiten, da hypomane Episoden von vielen Patienten nicht als krankheitsrelevant verstanden und dem Arzt nicht mitgeteilt werden. Hypomane Symptome sollten explizit exploriert und eine sorgfältige Fremdanamnese erhoben werden. Der Krankheits- und Therapieverlauf ist mittels eines Life-Chart-Modells zu visualisieren … Im Vergleich zur unipolaren Depression ist bei der bipolaren Depression ein häufigeres Vorkommen des melancholischen Subtyps und vermehrtes Auftreten atypischer depressiver Symptomatik mit Hyperphagie, Hypersomnie, Gewichtszunahme und affektiver Reagibilität zu beobachten. Vollendete Suizide werden mit ca. 15 % (Lebenszeitprävalenz) angegeben …“
Besonderheiten in der Pharmakotherapie der bipolaren Erkrankung ergeben sich durch den variablen Krankheitsverlauf. Ein Risiko der Therapie mit Antidepressiva besteht in der Induktion eines manischen Syndroms („Switch“), was auch im natürlichen Krankheitsverlauf auftritt. Eine weitere Komplikation kann eine Verkürzung der Zyklusdauer (Zeitspanne vom Beginn einer affektiven Phase bis zum Beginn der nächsten affektiven Phase) sein, was zu einem schwierig behandelbaren Rapid Cycling führen kann. Geht die depressive Symptomatik in einen affektiven Mischzustand über, ist eine genaue Beschreibung der aktuellen Psychopathologie Voraussetzung, um einen Behandlungsplan zu etablieren. Die Dauer der Erhaltungstherapie mit Antidepressiva muss individuell abgewogen werden."
Zitate aus: Roland Ricken, Max Pilhatsch, Michael Bauer: Bipolare Störungen: Pharmakotherapie (2007), in: „Psychiatrie und Psychotherapie“, up2date 2007; 1: 129-148, in: http://www.dgbs.de/download/36574601/Bipolare+St%C3%B6rungen_+Pharmakotherapie.pdf
Da Medikamente in anderen Websites bereits gut thematisiert und beschrieben werden, folgen Links auf einige dieser Seiten:
1. Forum Bipolar in Österreich (www.bipolar.at) von Dr. Moritz Mühlbacher und Dr. Christoph Egger): http://www.bipolar.at./medikamente.htm
Beachtenswert sind auch die in der Website beschriebenen nichtmedikamentösen Vorgehensweisen: http://www.bipolar.at./therapie.htm
2. Verein Horzonte: "Was ist was? Psychopharmaka. Ein Ratgeber für Patienten und Angehörige" von Herbert Pfeffer unter Mitarbeit von Wolfram Bender, Hans Dietl und Felix Tretter
(BKH Haar):
http://www.verein-horizonte.de/infomedframe.htm
3. Wikipedia-Artikel:
Phasenprophylaktika (Lithium, Carbamazepin, Valproinsäure und Lamotrigin): http://de.wikipedia.org/wiki/Phasenprophylaktika
Antidepressiva: http://de.wikipedia.org/wiki/Antidepressiva
Neuroleptika: http://de.wikipedia.org/wiki/Antidepressiva
Tranyuillanzien: http://de.wikipedia.org/wiki/Tranquillantien
4. Bipolare Störungen: Pharmakotherapie
von Dr. Roland Ricken, Max Pilhatsch, Prof. Dr. Dr. Michael Bauer
Bipolare Störungen_ Pharmakotherapie.pdf
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Psychiatrie und Psychotherapie up2date 2007; 1: 129-148,
mit freundlicher Genehmigung der Georg Thieme Verlag KG
http://www.dgbs.de/download/36574601/Bipolare+St%C3%B6rungen_+Pharmakotherapie.pdf
5. Auf der Schweizer Website http://www.documed.ch sind Fachinformationen zu allen in der Schweiz zugelassenen Medikamenten kostenfrei und ohne vorherige Anmeldung einsehbar
(diesen Hinweis verdanken wir "Colt").
Beachte aber:
a) dies ist die Website einer Unternehmens-Interessengruppe (Galenica), die unter anderem Pharmazeutika entwickelt, produziert und vertreibt, Apotheken führt, Logistikdienstleistungen anbietet sowie Datenbanken offeriert und Netzwerke etabliert. Was bei der Information z . B. über Nebenwirkungen zu Interessenkonflikten führen kann …
b) Nicht alle Medikamente, die in Deutschland zugelassen sind, sind dies auch in der Schweiz, und umgekehrt. Die Fachinformationen sind auch nicht 100% deckungsgleich mit den deutschen Versionen, aber inhaltlich ähnlich.
c) Teilweise haben die Medikamente in der Schweiz andere Namen. Ein Beispiel:
Das Medikament Trevilor heißt in der Schweiz Efexor, deswegen am besten immer nach dem Wirkstoff suchen. Der Wirkstoff von "Trevilor" bzw. "Efexor" heißt Venlafaxin.
Darüber hinaus gibt es vielfach verwobene Problematiken bei medikamentöser Behandlung.
Beispiel: Annika hat Ihrem Facharzt für Psychiatrie nicht oder nicht deutlich genug berichtet, dass sie vor nicht ganz einem Jahr nach der antidepressiven Behandlung in einer Psychiatrie eine ausgeprägte Manie hatte, obwohl ihr Angehöriger ihr das mehrmals wegen der dafür nötigen etwas anderen Pharmakotherapie und des von ihm beobachteten Switchens geraten hatte. Denn in dem Beipackzettel wie auch im Wikipedia-Artikel zu Citalopram hatte er gelesen, dass es bei bipolaren Patienten eine Manie auslösen kann. Auf Hinweise des Angehörigen hierzu reagiert der Facharzt nicht. Über ein ganzes Jahr hinweg misst er Lithiumspiegel, die weit unter dem wirksamen Spiegel liegen. Die regelmäßige Einnahme wird auch dadurch angegriffen, als eine "Therapeutin" nahe legt, doch baldmöglichst auf Medikamente zu verzichten, man müsse die Ursachen aufarbeiten, dann seien keine Medikamente und keine Depression mehr nötig. Als wegen schwerer Depression wiederum eine Einlieferung in die Psychiatrie nötig ist, schreibt der Facharzt auf die Überweisung die ICD-10-Diagnose F 33 .2, was eine rezidivierende (wieder kehrende) Depression ohne Manien in der Vorgeschichte bedeutet. Im Aufnahmegespräch der Patientin und des Angehörigen mit der Stationsärztin informiert sie darüber, dass während des stationären Aufenthaltes der Lithium-Spiegel auf die wirksame Dosis erhöht und gleichzeitig das Antidepressivum Citalopram erhöht werden soll. Auf den Hinweis des Angehörigen, dass hier Bipolarität vorliegt, reagiert die Arztin – bestärkt durch diese Diagnose auf dem Überweisungsschein – nicht, sie tut ihn ab, notiert hierzu nichts.
Nach der Entlassung aus der Psychiatrie wird weiterhin Citalopram verschrieben. Annika kommt nach einigen Monaten in eine Hypomanie, dann in eine Manie. Der zunächst Leidtragende der nächsten Manie ist wieder primär der Angehörige, Annika berichtet ihre zweite Manie wieder nicht, da sie sie nicht erkennt, kaum erinnert und nicht als auf sie zutreffende Diagnose akzepiert.
In diesem Beispiel sind einige weit verbreitete Problematiken enthalten, die unnötig großes Leid verursachen:
(Citalopram ist hierbei nur ein Beispiel, auch andere Antidepressiva vermögen ein Switch-Risiko zu bergen)
Medikamentöse Behandlung plus Psychotherapie plus Selbsthilfe plus die Unterstützung durch gute Freunde plus eigenes bewusstes Gegensteuern zu Beginn von Krankheitsphasen sind fünf gute Säulen. Fünf Säulen sind besser als eine.